< PreviousVon Andrea Leim lexander Gerst ist ein Extrem-Mensch! Bereits zwei Mal flog er für insgesamt 362 Tage ins All und über- nachtete auch schon bei -40 Grad in der Antarktis im Zelt. Doch vor seinem Auftritt beim Wacken Open Air war er trotz- dem besonders nervös, gesteht er im Interview mit The Bullhead. Du warst bereits zwei Mal auf der ISS, insgesamt fast ein ganzes Jahr. Wie wichtig ist Musik im Weltraum? Alexander Gerst: Total wichtig! Im Weltraum hatte ich ständig einen kleinen Bluetooth- Speaker dabei und hatte ein Tablet mit meiner gesamten Musikbibliothek drauf. Egal wo ich an der Raumstation gearbeitet habe, habe ich das Ding an die Wand oder Decke geklettet und habe Musik laufen lassen. Wer mich auf der ISS gesucht hat, musste also nur der Musik folgen. Im Weltall selber ist wegen des Vakuums kein Geräusch zu hören. Wie ist die Geräuschkulisse in der Raumstation? Gerst: (lacht) So ähnlich wie hier beim W:O:A. Der Geräuschpegel ist relativ hoch, weil die ganze Zeit Alexander Gerst besuchte zum ersten Mal das Wacken Open Air und hielt vor tausenden Metalfans einen Vortrag über das All Mission „Wacken“ completed: Astronaut Alexander Gerst landet seinen Jungfernflug auf dem Holy Groundein Lüfter läuft, denn die Luft zirkuliert nicht einfach so. Warme Luft steigt nicht auf, weil es kein Oben und kein Unten gibt. Deshalb muss sie die ganze Zeit durch kleine Ventilatoren umgewälzt werden. Doch man gewöhnt sich dran. Brauchst du in deiner Freizeit eher Ruhe oder auch mal richtig Lautstärke? Gerst: Ich brauche alles mal! Meine Eltern haben in vierter Generation einen Metallbaubetrieb geführt. Ich bin also in einem lauten Umfeld aufgewachsen und habe dort schon mit 14 Jahren in den Ferien mit angepackt: Geländer und Treppen bauen, schweißen, bohren, kann ich alles. Dann könntest du ja hier auch die Bühnen mit aufbauen… Gerst: Ja, total. Mit so Werkzeugen kenne ich mich aus. Aber zurück zur Frage: Ich habe gemerkt, dass ich von allem so ein bisschen was brauche. Ich liebe es, in die Natur zu gehen und in einer lebensfeindlichen Umgebung in der Antarktis bei -40 Grad im Zelt zu schlafen. Aber ich mag es auch total, mit meinen Freunden irgendwo entspannt ein Bierchen trinken zu gehen. Hast du beim ersten Start der Rakete Angst oder Aufregung gespürt? Gerst: Angst ist ein Gefühl, das jeder Mensch kennt. Das gilt natürlich auch für Astronauten, genau deshalb trainieren wir alle möglichen Eventualitäten. Aber ich muss zugeben, dass mich die Situation hier in Wacken tatsächlich etwas nervös macht. Im Regen eine Stunde lang vor lauter Heavy-Metal-Fans zu stehen, die ja eigentlich wegen der Musik gekommen sind, davor habe ich wirklich Respekt. Und hast du schon mal richtig echt auf einem Festival gecampt? Gerst: Ich war auf ganz vielen Festivals, wie zum Beispiel dem Dynamo Festival (Anm. d. Red.: bis 2005 in den Niederlanden). Das war cool, mega krass, auch eher matschig. Dann war ich auch sehr häufig bei Rock am Ring - und habe dort immer gezeltet. Bis meine Kumpels Tent-Surfing erfunden haben. Die Idee war nicht ganz so gut, denn danach hatte ich kein Zelt mehr (lacht). Stattdessen musste ich draußen übernachten. Aber ich mag diese Festivalatmosphäre total. Würde ich länger bleiben, hätte ich total Bock darauf, hier zu zelten. Nach seinem Vortrag macht der Astronaut ein Selfie mit den Fans Fotos: WOA, PrivatVon Katharina Metag ie Frage, wie es sich anfühlt, die erste deutsche Frau im All zu sein, hat Rabea Rogge seit März inzwischen unzähli- ge Male gehört. „Ob ich des- halb jetzt ein Vorbild bin, das müssen andere entscheiden“ sagt die Berlinerin und äu- ßert dann einen Satz, den sie seither auch schon oft gesagt hat: „Erfolg ist eine Mischung aus Vorbereitung und Glück.“ Glück war, dass sie bei einer Übungsexpedition auf Spitz- bergen Bitcoin-Milliardär Chun Wang kennenlernte. Er finanzierte die private Mission „Fram2“, die Rabeas Ticket ins Weltall war. Der Rest war Vor- bereitung. Ein Jahr Training stand vor der Mission. Dass sie hoch hinaus will, stand für Rabea Rogge fest, seit sie im Studium die Leitung eines Satelliten-Teams über- nahm. Dass es so schnell gehen würde, ahnte die 29-jährige Doktorandin nicht. Ihr Motto: „Es ist okay, groß zu träumen.“ Wichtig sei, keine Angst vor Fehlern zu haben, denn „man lernt super schnell daraus“. Möglichst viel lernen, das wollte Rabea Rogge auch im Weltraum. Vor allem über den menschlichen Körper in der Schwerelosigkeit. Über 20 geplante Experi- mente waren dabei. Die Wissenschaftlerin mach- te das erste Röntgenbild im All. „Wenn man sich dort verletzt, muss man das diagnostizieren, um korrekt behandeln zu können. Muskeln schwinden, Knochen brechen schneller“, er- klärt sie. Ein witziges Video in ih- rem Social-Media-Profil doku- mentiert, wie die Astronautin und ihr Kollege die Arme wie Hühnerflügel flattern lassen, um mittels Zentrifugalkraft Blut abzunehmen. Denn das fließt in der Schwerelosigkeit nicht einfach heraus. Mit den Proben werden extrem wich- Rabea Rogge ist Elektrotechnikerin, Polarforscherin und Astronautin. Sie war die erste deutsche Frau im All. Warum ein ganzes Jahr Wacken dafür ein gutes Training wäre, wie man in der Arktis auf die Toilette geht und welchen Song sie vor dem Start gehört hat, verrät sie im Gespräch mit The Bullhead. „ “ Die Astronautin war im März Teil der Mission „Fram2“tige Daten für künftige Mis- sionen gewonnen. „Wir wissen nicht, welche Fragen wir noch nicht gestellt haben.“ „ “ - Mit welch extremer Neugier und Freude die Wissenschaft- lerin dabei ist, ist sinnbildlich für ihre ganze Forschungsreise. „Größtenteils hatte ich ein- fach nur Spaß“, sagt sie. Der Start sei wie eine krasse Achter- bahnfahrt gewesen. „Auf dem Weg zum Launch-Pad haben wir als letztes Lied ,Wherever I May Roam‘ von Metallica ge- hört.“ Rabea Rogges Besuch auf dem W:O:A ist daher auch kein Zufall, denn die Astronautin ist auch tota- ler Metal-Fan, am liebsten Progressive, wie ihre aktu- elle Lieblingsband Opeth. „Dabei kann ich abgehen oder runterkommen. Beides funk- tioniert für mich super“, so Rogge. Musik spielte natürlich auch bei ihrer Mission eine Rolle. „Beim Orbitwechsel hört man das Brennen des Antrie- bes. Daraus haben wir sogar ein kleines Synth-Lied gemacht, das ich noch veröffentliche.“ Als Crew-Song hatte ihre Gruppe „Immigrant Song“ von Led Zeppelin ausgesucht. Weil das Team international ist und weil es natürlich die Verbin- dung zum Nordischen schlägt. Auch zum Namen der Mission, der vom norwegischen Polar- schiff Fram abgeleitet wurde. Die 29-Jährige, die momen- tan quasi nebenbei in Trond- heim promoviert, hat auch schon Festival-Erfahrung. „In Oslo war ich beim Tons of Rock, da geht die Sonne einfach nicht unter, das ist so schön“, schwärmt sie. Für ihr Wacken-De- büt kam für die Forscherin selbstverständlich auch nur die authentische Erfahrung infrage. „Wenn ich schon hier bin, zelte ich auch“, sagt die Robotik-Forscherin, die auf Forschungsexpedition auch schon bei -25 Grad in der Arktis gezeltet hat. Bei derlei Extremerfahrungen, ist so ein bisschen knöchel- tiefer Wacken-Matsch wohl kaum eine große Herausfor- derung. „Wenn ich mir diese Schlammschlacht hier so an- sehe, kommt das auf einer Ex- trem-Skala von 1 bis 10 schon auf eine 5.“ Noch herausfordernder als das Festival-Dixi auf ihrem Campground ist nur noch der Toilettengang in der Arktis. „Man muss ein- fach sehr schnell sein. Wenn man zu lange braucht, frie- ren Sachen ein. Man wird also sehr effizient.“ Urlaub, wie ihn andere Menschen definieren, etwa im Hotel oder am Strand, gibt es für Rabea Rogge ohnehin nicht. „Meine Ferien gestalte ich meist sehr aktiv. Das gibt mir am meisten wieder. Nach einer mehrtägigen Fahrrad- tour, zum Beispiel, fühle ich mich einfach gut.“ Entsprechend extrem scheint auch der nächste gro- ße Traum der 29-Jährigen. „Grönland in 30 Tagen auf Skiern durchqueren“, sagt sie, und „Ich hoffe, Zukunftszu- versicht weitergeben zu kön- nen. Wir können ein auto- nomes Raumschiff bauen, alles andere sollten wir auch schaffen.“ Fotos: WOA, Space-X Auf dem W:O:A zeltet Rabea Rogge: „Ein ganzes Jahr Wacken wäre ein gutes Training fürs All“ Profi-Pommesgabel: Auch privat ist die Wissenschaftlerin leidenschaftliche Metalhead Auf der Bühne bei Maschines Late Night Show berichtet Rabea Rogge von ihrer ForschungDie Wasteland Warriors färben den Holy Ground bunt Thomas Jensen und Holger Hübner eröffnen das Infield Das Infield brennt Bang, Boom, bunt! Am Mittwoch trotzten die W:O:A-Horden dem Matsch, um die Eröffnung ihres Lieblingsfestivals gebührend zu feiern. Fotos: WOA, Privat er Mittwoch stand nicht nur im Zeichen von Dauerregen und stetig wachsenden Matschpfüt- zen, sondern auch von der Eröffnung des Infields. Mit jeder Menge Farbe und Pyrotechnik wurden um 15.45 Uhr die heiligen Pfor- ten zum lautesten Acker der Welt geöffnet. Begleitet von den Wasteland Warriors mit farbigen Rauchbomben stürmten die Metalheads vor die beiden Hauptbühnen, wo sie die Wacken-Chefs Thomas Jensen und Hol- ger Hübner, unterstützt von der US-amerikanischen Cellistin Tina Guo, offiziell willkommen hießen. Als ers- te Band baten kurz darauf Wind Rose zum Moshpit. Die als Zwerge verkleideten Tolkien-Fans holten am Ende auch noch Sänger Alea von Saltatio Mortis als Gast ans Mikrofon. Im Landgasthof bat Fa- milie Reimann am Nach- mittag zur Sabbelstunde, um aus ihrem Leben zu erzählen. Über den W:O:A-Besuch freut sich vor allem Ehefrau Manu, die bekennende Guns-N’-Ro- ses-Anhängerin ist und frü- her „auf Festivals gelebt“ hat, wie sie erzählt. Dagegen muss Konny erst noch ein paar Eindrücke von seinem ers- ten W:O:A sammeln. Grow- ling und Screaming mag er generell nicht so gerne. „Es muss immer Melodie dahin- ter sein“, stellt der berühmte Auswanderer direkt klar. Melodisch war es am frü- hen Abend bei Apocalyptica, während die japanische Frau- en-Combo von Hanabie deut- lich härtere Töne anschlug. Als krönender Abschluss boten Saltatio Mortis eine Knaller-Show, bei der Front- mann Alea mal an Drahtseilen über die Bühne schwebte, mal mit einem Wikingerboot über die Metalheads surfte und schließlich höchstselbst den Circle Pit im Publikum an- führte. Schlammtastisch!Lita Ford hat auch mit 66 Jahren nichts verlernt Wind Rose legen als erste Band auf der Faster los Der Holy Diver auf dem Holy Ground Hanabie können die Masse an Menschen kaum fassen Ein nachhaltiges Gemälde für den guten Zweck – mit an Bord: Saltatio Mortis und Bembel With Care Apocalyptica haben sichtlich Spaß im Regen Rage-Sänger Peavy Wagner hat sich Schauspieler Ralf Richter als Vorleser für seine Biografie Soundchaser dazugeholt Konny und Manu Reimann erzählen im prall gefüllten Landgasthof aus ihrem Leben Alea (Saltatio Mortis) und sein Wikingerschiff surfen über die Metalheads Die Rockerinnen von Dogma heizen ordentlich einMit dem Auftritt von Guns N’ Roses geht für die Festival-Chefs ein jahrzehntelanger Traum in Erfüllung. Sie feiern diesen Abend mit engsten Freunden, Familie und den Fans Von Andrea Leim s ist 20.15 Uhr, als das Flutlicht rund um die Faster-Stage lang- sam abflaut. Michael Schenker hat gerade den letzten Song gespielt und die Bühne verlassen. Der Acker ist überzogen mit dunklem, zähem Matsch und Nebelmaschinen pum- pen weißen Rauch in die Luft. Das Publikum watet durch die feuchte Erdmasse und versammelt sich gefühlt in Gesamtbesucherstärke vor der Harder-Stage. Dann: ein markantes Gitarrenlick. Die ersten Töne von „Welcome To The Jungle“ fliegen über das Gelände – und aus einem über 30 Jahre währenden Traum wird Wirklichkeit. Für tau- sende Metal-Fans, vor allem aber für drei langjährige Freunde aus Wacken. Holger, Gösi, Thomas. Gemeinsam stehen sie auf dem Balkon der Loge am Infield, schauen in Rich- tung Hauptbühne, sehen und hören dabei zu, wie sich gerade ihr größter Jugendwunsch erfüllt. Ge- meinsam hatten alle drei den Überhit „Welcome To The Jungle“ Ende der 80er erstmals im Übungsraum in Gösis Keller gehört. Auf ihrem stetig wachsenden Fes- tival in ihrem Heimatdorf be- nannten Holger und Thomas sogar eine Bühne nach eben diesem Song der US-Rocker. „Ich bin Fan erster Stunde und begleite die Band seitdem durch alle Höhen und Tiefen“, sagt Holger. „1992 haben wir mit mehreren Freunden ei- nen Bus organisiert und sind aus Wacken zur ersten Stadi- on-Show nach Hannover ge- fahren. Ein Jahr später haben sie in Bremen gespielt und wir waren natürlich wieder da. Und standen ganz vorn in der ersten Reihe.“ Holger, Gösi und Thomas schauen sich zusammen das Guns N’Roses- Konzert in Wacken an Axl Rose und seine Kollegen lieferten eine großartige Show über mehr als drei Stunden mit 31 Songs abAm Donnerstagabend stehen alle drei wieder zu- sammen und schauen auf die Bühne –nicht aus der ersten Reihe, „die wollen wir unse- ren Besuchern überlassen“, sagt Holger. Allerdings lassen es sich die beiden Festival- Chefs auch nicht nehmen, die Gunners aus dem Publikum zu sehen. Und so machen sie sich gemeinsam auf und lau- fen über den Platz bis zum FOH, dem Ort, an dem die Tontechniker arbeiten. „Von hier aus klingt der Sound un- fassbar gut“, sagt Thomas be- geistert. Spontan beschließt er, noch weiter ins Publikum zu gehen und bleibt den Rest des Konzerts dort. Gösi schaut derweilen wei- ter begeistert vom Balkon zu: „Ich bin mit Holger für Kon- zerte schon um die halbe Welt gereist, wir waren gerade noch zusammen in Aarhus und jetzt sind Guns N’ Roses wirklich hier. Das ist einfach nur mega.“ Das war es tatsächlich! Über drei Stunden spie- len Axl, Slash, Duff und ihre Band auf dem Holy Ground ein unvergessli- ches Konzert. Für tausende Metal-Fans, vor allem aber für drei langjährige Freun- de aus Wacken. Fotos: Guns N‘ Roses, Andrea Leim Holger und Thomas gemeinsam im Infield Slash bei einem seiner unvergleichlichen Soli Axl und Duff vor der riesigen Wacken-MengeVon Christof Leim anze 43 Jahre – Phil Collen hält es schon deutlich länger bei Def Leppard aus als die meis- ten anderen Leute in ihren Jobs. Teilweise liegt das sicher daran, dass der 67-jährige sich enorm fit hält, sowohl körperlich als auch musikalisch. Seine an- dauernde Suche nach neuer Musik und unentdeckten Orten hat die Band schon um die ganze Welt geführt. Egal, wo sie landen, ihre Freundschaft und die Liebe zur Musik sorgen für den nötigen Zusammenhalt. Klingt nach den perfekten Gästen fürs W:O:A! Du bist jetzt seit 43 Jahren bei Def Leppard. Beeindruckend! Phil Collen: Danke. Vor ein paar Tagen hat mir jemand dazu gratuliert, und ich habe gefragt: „Wieso, was ist denn passiert?“ Dann hat er es mir gesagt, und ich meinte nur: „Im Ernst, 43 Jahre?!“ Mit der Rückkehr in den vorigen Job wird das wohl nichts mehr. Phil Collen: Nein. Ich habe in einer Fabrik für Alarmsysteme gearbeitet. Ich habe Alarmanlagen verkabelt, bin aber farbenblind. Löten konnte ich nachher richtig gut. Ein paar Jahre später wollte ich den Pickup einer Gitarre löten, hatte aber alles vergessen, was ich je übers Löten gelernt habe. Also: kein Weg zurück. Warte, du bist farbenblind? Dann gibt es jetzt wohl ein paar hundert Alarmanlagen aus den Achtzigern in London, die nicht funktionieren. Phil Collen: Sieht so aus. (lacht) „Pour Some Sugar On Me“, „Photograph“, „Rock Of Ages“: So ziemlich jeder Rocker unter der Sonne kennt diese Nummern von Def Leppard. Aus gutem Grund: die knallen! 2026 werden die UK-Legenden zum allerersten Mal auf dem Holy Ground spielen. Gitarrist Phil Collen verrät der The Bullhead, wie die Band auch nach all den Jahren neugierig bleibt und wie Def Leppard planen, die Wacken’schen Horden mitzureißen Fit an der Gitarre und im Leben: Mit 67 Jahren ist Phil Collen innerlich und äußerlich jung gebliebenRock’n’Roll ist ja nicht gerade für Jobsicherheit bekannt. 43 Jahre in der gleichen Band sind also keine schlechte Leistung. Was reizt dich noch am Live-Spielen, vor allem mit derselben Band? Phil Collen: Ich hatte keinen Plan B. In der Schule war ich nicht sonderlich gut, und danach hab ich in der Fabrik angefangen, weil es für mich einfach keine Alternative gab. Ich wollte Gitarre spielen. Es gab nichts anderes, und ich wollte auch nichts anderes. Das hat daher immer noch einen gewissen Reiz. Wir sehen uns außerdem eher als Künstler denn als reine Musiker. Wir müssen ja keine neue Musik rausbringen, aber ich nehme noch jeden Tag mit dem Smartphone neue Ideen auf. Joe (Anm. d. Red.: Elliott, Leadsänger) und ich schicken uns ständig Ideen hin und her. Das ist letztlich der Grund, warum wir das alles machen. Es wird aber auch schwieriger. Die Landschaft verändert sich mit der Branche und der gesamten Welt, und wir werden auch nicht jünger. Dann gibt es wiederum die besonderen Momente: Wir haben vor Kurzem in Ottawa in Kanada gespielt. Tom Morello von Rage Against The Machine hat da auf der Bühne mit uns gejammt. Das war großartig, wir hatten vorher noch nie live mit ihm gespielt. Und all diese Dinge sorgen dafür, dass die Sache ihren Reiz nicht verliert. Dieser Drang danach, sich künstlerisch auszudrücken und das zu machen, was man liebt – schwächelt der nicht auch mal? Phil Collen: Doch, hin und wieder tut er das schon. Absolut. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, denn wir verstehen uns ja alle wirklich gut. Wir teilen uns noch immer eine Garderobe. Andere Bands kommen rein und fragen uns, warum wir da alle zusammenhocken, aber so war es immer. Wir lachen Was war dein erstes Festival? Phil Collen: Da war ich 22 oder 23 und noch Teil der Band „Girl“, mit der wir auf dem Reading Festival in UK aufgetreten sind. Def Leppard haben da sogar auch gespielt, gleich nach uns. Aber ich bin selbst nie auf Open Airs gefahren, weil ich davor einfach noch zu jung war. Du musstest dich also nie von Dosenravioli und Bier ernähren? Phil Collen: Ich habe mich schon von Bier und aus Dosen ernährt, aber eben nie auf einem Festival. (lacht) Was begeistert dich derzeit musikalisch? Phil Collen: Ohne jetzt alt klingen zu wollen: Ich höre mir wirklich viel neue Musik an, alles von EDM über Pop, R’n’B, Hip-Hop, was eben modern ist. Und mir fehlt da jemand, der es so drauf hat wie zum Beispiel Prince – der einfach in einer anderen Liga spielt. Gefunden habe ich das noch nicht. Heute ist die Motivation, Künstler zu werden, aber auch oft eine andere. Wirtschaftlichkeit steht an der Tagesordnung. Es geht um Likes, YouTube, TikTok. Als Led Zeppelin anfingen, Prince oder Sly & the Family Stone – das war unfassbar. Jetzt klingt alles so keimfrei und glatt. Ich warte wirklich auf eine Rockband, die etwas in mir auslöst. Ich höre hier und da Ansätze davon, aber ich warte auf die nächsten Nirvana oder Led Zeppelin. Kannst du mir einen Gefallen tun? Wenn du etwas hörst, das du spannend und anders findest, schick es mir! Ich bin ständig auf der Suche. und verbringen eben gern Zeit miteinander. Im Grunde sind wir entwicklungstechnisch gehemmt: Wir sind zwölf Jahre alt, stecken aber in den Körpern erwachsener Männer. Bei vielen Bands ist das anders. Wir haben da wirklich Glück. Klingt nach Klassenfahrt mit den Kumpels… Phil Collen: So fühlt es sich auch an. Als wir mit Mötley Crüe auf Tour waren, haben wir sie damit regelrecht angesteckt. Wir hatten einen riesigen Jumbo-Jet, auf dem das ganze Equipment, beide Crews und beide Bands mitgeflogen sind. Das war wie in der Schule früher, nur halt in der Luft. Wir hatten so viel Spaß. Ihr habt quasi überall gespielt. Freut man sich noch, wenn man in neuen Städten oder auf neuen Events wie dem Wacken Open Air spielt, das ihr nächstes Jahr zum ersten Mal beehrt? Phil Collen: Das tut man. Ich bin immer ganz aufgeregt, wenn es an neue Orte geht. Ich war zum Beispiel noch nie am Machu Picchu, da will ich aber hin. Oder zu Angkor Wat und anderen Tempeln. Ob auf Tour oder Festivals, an neuen Orten erlebt man immer eine ganz andere, landes- oder ortsspezifische Energie. Das ist klasse. Ihr werdet da auf einem Metal-Festival spielen, bei dem vor euch vermutlich ein ziemlich harter Act spielt. Was macht das mit einer Melodic-Hard-Rock- Band wie Def Leppard? Phil Collen: Wir sind, wie wir sind. Und darauf sind wir stolz. Egal, wo wir spielen, wir gehen raus und machen es einfach. Die meisten Leute finden das gut. Neulich haben wir ein Festival mitten im Nirgendwo in Kanada gespielt. Da waren nur Country-Bands. Wir dachten: „Das ist ganz schön merkwürdig.“ Aber dann haben wir das durchgezogen. Wir geben dem Publikum „uns“, wer auch immer da gerade vor uns steht. Zwar freut man sich auch übers Geld, aber Def Leppard geht es nach wie vor um die Musik – und um den Zusammenhalt Nach 43 Jahren in der Band findet Phil: Sie harmonieren live besser als je zuvor! Fotos: Ryan Sebastian, Def LeppardNext >